Auf der Suche nach einem Dichter
Plan war es, das Gedicht aus Teil 1 am 50. Todestag von „Tante Hermine“ im August zu veröffentlichen. Aber wie und von wem die Genehmigung bekommen?
Anfrage beim Verlag
Zwei Wochen noch bis zum Jahrestag, das muss doch reichen. Also: Anfrage beim Verlag. Einzig: der Verlag „Koehlers kleine Seebücherei“ bzw. „Koehlers Verlagsgesellschaft 49 Herford“ existiert nicht mehr – zumindest nicht mehr in Herford. 1995 verlagert von Ostwestfalen nach Hamburg. Sicherlich, ganz sicher, sind die Unterlagen zu „Lockruf der See“ mit umgezogen. Also: Anfrage per eMail und Telefon. Leider: keine Antwort. Eine Woche später bringt SocialMedia den ersehnten Kontakt. Der Verlag hat kein Problem mit einer Veröffentlichung, aber wir müssen noch die Genehmigung der Rechteverwalter, sprich des Autors oder der Erben, einholen. Na gut, das kann doch keine große Hürde sein.
Auf der Suche nach den Erben
Die ersten biografischen Daten bringt der Klappentext von „Lockruf der See“: Seemann, Flieger, 1960 mit dem Schreiben begonnen, später Lebensabend in Bad Homburg. Später zeigt sich: der Dichter begann schon vor dem 2. Weltkrieg mit dem Schreiben, ein Romanmanuskript ging in den Wirren des Krieges verloren.
Google liefert eine Festtagsschrift des „Vereins der Kapitäne und Schiffsoffiziere zu Lübeck e.V.“ (VdKS) aus 2010; und einen seltsamen Treffer – dazu aber später mehr. In der Festschrift ist unter der Rubrik „einer von uns“ der Lebensabend des Dichters in Lübeck erwähnt.
Ein Widerspruch. Also Anfrage per eMail beim VdKS. Ach was soll’s: zur Sicherheit noch eine Anfrage an die Stadtarchive von Bad Homburg und Lübeck. Kann ja nicht so schwer sein.
Der Küstenfunk meldet
Der VdKS meldet sich in Person von Kapitän Milkereit vom VdKS. Klar sei „Tante Hermine“ ihm ein Begriff. Er wisse auch noch genau, wo er die Nachricht vom Tode der Wirtin erhalten habe: er lag mit seinem Schiff in Südafrika und bekam den Anruf von einem Kommilitonen aus München. Der Küstenfunk hat die Meldung also in Windeseile um den Globus getragen. Zusätzlich liefert das Telefonat noch die Gewissheit, dass „Zur Kuhwerder Fähre“ eine der wichtigsten Kneipen im Hamburger Hafen für die Seefahrenden war: „wenn ich für jedes Fass, das ich bei Tante Hermine geleert habe, einen Euro bekäme, könnten wir beide eine tolle Silvesterfeier machen“. Biographische Daten zum gesuchten Dichter – 1906 geboren – gibt es noch obendrein. Und das alles nach 50 Jahren. Aber Verzug, Verbleib oder Kontakt zu den Erben: leider nein.
Stadtarchive Bad Homburg und Lübeck
Aber die Stadtarchive, die melden sich doch sofort, oder? Nun ja: Bad Homburg sucht anscheinend noch die relevanten Informationen zusammen. Eine Antwort steht steht bis heute noch aus. Vielleicht kommt da wirklich nichts mehr. Aber Lübeck antwortet schnell:
„Bezüglich ihrer Anfrage (…) konnte ich (…) einen Eintrag finden, laut welchem Herr Horst Bernhardi mit seiner Mutter, Frau Charlotte Luise Gertrud Bernhardi, geb. Bulgrin (*14.08.1912 in Stettin), am 12.06.1946 aus der Kronsforder Allee 46c in Lübeck nach Hamburg/Rissen in die Straße Wittenkamp 30 verzog. Informationen zu einem möglichen erneuten Umzug nach Lübeck konnte ich leider nicht finden.“
Bezeichnenderweise ist der Text gleich auf der Rechnung über 20€ für „Recherchen über private und gesellschaftliche Zwecke“ abgedruckt. Na gut, ist ja für einen guten Zweck.
Aber: jemand der 1906 geboren ist, kann keine Mutter mit Geburtsjahr 1912 haben, oder? Da scheint sich irgendwo ein Fehler eingeschlichen zu haben. Aber hinsichtlich Kontakt zum Dichter oder den Erben sind beide Stadtarchive Sackgassen. Spoiler: das Rätsel der „Mutter“ wird sich später aber noch aufklären.
Aufgeben oder einfach so veröffentlichen?
Zwei Sackgassen, ein tolles Telefonat aber immer noch kein Kontakt zu den Erben. Mittlerweile ist der Jubiläumstermin verstrichen. Was also jetzt? Das Gedicht einfach so veröffentlichen? Ein Kurdirektor rät beim Kurschattentreffen dazu. Nicht nur der Stadtteil ist rebellisch veranlagt, sondern anscheinend auch unser Kurdirektorium. Aber eine rechtliche Auseinandersetzung als kleiner, gemeinnütziger Verein riskieren? Einen Versuch machen wir noch: es gibt da doch noch diesen seltsamen Google-Treffer bei der ETH Zürich. Wie die Hochschule in der Schweiz zu den bekannten Lebensstationen passt? Keine Ahnung.
Eine 30 Jahre alte Vereinszeitschrift
Die Vereinszeitschrift der „Freidenker“ aus den 90ern ist bei der ETH Zürich archiviert. Zum Glück als PDF und noch mehr Glück: durchsuchbar! Dort ist ein Nachruf auf Bern Hardy mit weiteren biografischen Daten veröffentlicht. Gestorben 1988 in einer psychiatrischen Klink nach versuchtem Suizid 1987. Also: Lübeck, Bad Homburg und jetzt Zürich ?!?
Man könne ein Manuskript „Bern Hardy: die Rückkehr“ gegen Überweisung von 6 SFr. auf ein Konto in Frankfurt beziehen. Ein Name ist zu diesem Konto angegeben. Dieser Name liefert einen Internet-Treffer und eine eMail-Adresse. Und den Durchbruch: „der Nachlass von Bern Hardy wird von seinem Sohn Peter Bernhardi verwaltet“, Telefonnummer, Adresse: alles da. Und weiter: „wenden Sie sich an ihn, eine Veröffentlichung wird ihm gefallen.“. Wow. Also: Telefonat mit Peter Bernhardi.
Kontakt zu Peter Bernhardi
Das Telefonat mit Peter Bernhardi ist dann erlösend: biographische Daten und gleich zu Beginn die Zustimmung zur Veröffentlichung des Gedichts. Erfahrungsberichte von gemeinsamen Reisen mit dem Vater. Teilweise „schlüpfrige“ Geschichten. Aber hey: es geht um Seefahrt. 7 Bände mit Gedichten hat Bern Hardy veröffentlicht. Lesereisen an die Seefahrtschulen Norddeutschlands brachten dann einen Großteil der jeweiligen Auflage an den (See)mann. Beruflich war Horst Bernhardi deutscher Vertreter für internationale zivile Luftfahrt bei der UNO. Sein Sohn hat mehrfach versucht – zuletzt zum 100sten Geburtstag seines Vaters – eine Wiederauflage der Werke seines Vaters zu erreichen. Leider ohne Erfolg. Heute sind die Gedichtbände nur noch antiquarisch zu erhalten.
Bernd Hardy: die Rückkehr
Die Geschichte enthält ein weiteres Rätsel: das Manuskript „Bernd Hardy: die Rückkehr“ – geschrieben in der psychiatrischen Klinik mit biographischen Begebenheiten aus der Kindheit und Jugend des Dichters – ist verschollen. Handschriftlich vom Vater verfasst, mit Schreibmaschine durch den Sohn verschriftlicht und dann kopiert: einige Hundert Exemplare hat Peter Bernhardi verschickt. Selbst ist er nicht mehr im Besitz eines Exemplars. Hier würde die Fortsetzung der Geschichte einen Dachbodenfund benötigen: wenn also jemand jemanden kennt, der jemanden kennt. Aber vermutlich ist die Reise zu den Wurzeln und zum Werk Bern Hardys hier zu Ende.
„Zur Kuhwerder Fähre“ heute Ein kurzer Blick zurück zum Ausgangspunkt: was wurde aus der legendären Seemannskneipe „Zur Kuhwerder Fähre“? Die Räumlichkeiten in der St. Pauli Hafenstraße sind noch erhalten: darin eingerichtet ist eine komplette Holzwerkstatt. Wenn jetzt jemand dort Schiffsplanken hobeln würde, wäre der Kreis geschlossen.